Was heißt kritische Theorie (des Antisemitismus)? Luise Henckel
10. Juli-18:30
KostenlosEin vielzitierter – aber in der Gesamtausgabe an der meistens angegebenen Stelle nicht ausfindig zu machender – Ausspruch Max Horkheimers lautet (übersetzt): „So wahr es ist, dass man den Antisemitismus nur aus unserer Gesellschaft heraus verstehen kann, so wahr scheint mir auch zu werden, dass nun die Gesellschaft angemessen nur durch den Antisemitismus verstanden werden kann.«
Die 1941 angeblich in einem Brief an den englischen Ökonomen und Philosophen Harold Laski verfasste Stelle ist ein kleines Mysterium der Horkheimer-Forschung aber auch ein hervorragendes Beispiel für Sätze, die wenn sie nicht wirklich geschrieben wurden, genauso gut hätten geschrieben werden können. So beschreibt das Zitat die scheinbar zunehmend unersetzliche Verbindung kritischer Gesellschaftsbetrachtung mit der Reflexion auf die Reproduktionsbedingungen von Antisemitismus. Dabei beleuchtet es eine wesentliche Erkenntnis der ersten Generation kritischer Theoretiker:innen – das Verständnis von der Gesellschaft als historisch gewordener, in sich vermittelter und undurchschauter Totalität. Der Vortrag bietet eine Einführung in solchermaßen erst einmal Fragen aufwerfende Grundbegriffe und -überlegungen der frühen kritischen Theorie. Diese wird dabei als Bearbeitungszusammenhang wesentlicher Erfahrungen der ersten Jahrzehnte des frühen 20. Jahrhunderts gefasst: Die sich zunehmend verdunkelnde Aussicht, die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse in eine vernünftige (kommunistische) Einrichtung zu überführen und das Umschlagen der gesellschaftlichen Dynamiken in faschistische Kollektivierung und antisemitische Vernichtungsabsicht.